Die Deutsche Bahn hatte für den 14.11.2016 alle interessierten Bürgerinnen und Bürger zu einem Informationsabend über die Aus- bzw. Neubaustrecke der Bahn von Gelnhausen nach Fulda in die Heinrich-Heldmann-Halle in Wächtersbach eingeladen, und mehr als 250 Gäste zeigten das große Interesse der Region an diesem großen Infrastrukturvorhaben.
Moderator Ralf Eggert vom Büro IFOK hatte die Anwesenden nach Ihrer Herkunft gefragt; danach kamen ca. 25 % aus Wächtersbach und weitere 25 % aus maximal 10 km Entfernung, aber immerhin die Hälfte der Teilnehmer hatte einen weiteren Anreiseweg.
Wie Dr. Klaus Vornhusen, Generalbevollmächtigter der Deutschen Bahn für Hessen (Foto rechts), ausführte, wurde erstmals bei einem Infrastrukturvorhaben dieser Größe ein Prozess gewählt, der von Anfang an die aktive Mitwirkung aller beteiligten und interessierten Körperschaften, Vereinigungen, Bürgerinitiativen und Einzelpersonen einbezieht. Offenbar hat die Deutsche Bahn hier von den Bürgerprotesten bei "Stuttgart 21" gelernt.
Diese Mitwirkung manifestiert sich im Dialogforum Hanau–Würzburg / Fulda, das ebenfalls von Herrn Eggert geleitet wird. Zahlreiche der derzeit etwa 70 Mitglieder des Dialogforums hatten sich auf den Weg nach Wächtersbach gemacht. Einige ihrer Vertreter mit ganz unterschiedlicher Sicht auf das Projekt (von Bürgermeistern betroffener Gemeinden über Vertreter des Fahrgastverbandes PRO BAHN bis zur Naturschutzorganisation NABU) lobten ausdrücklich diese Vorgehensweise der Bahn. Aus dem Dialogforum hätten bereits zahlreiche Informationen und Anregungen den Weg in das Projekt gefunden. Allen ist jedoch auch klar, dass die Neubaustrecke kommen muss, um einen Verkehrskollaps auf einer zentralen Strecke in Mitteleuropa zu verhindern, aber auch, dass es ohne Beeinträchtigungen von Bürgern und Umwelt nicht abgehen werde.
Einen großen Teil der Veranstaltung übernahm Dr. Reinhard Domke, der Technische Projektleiter der Deutschen Bahn. Er informierte ausführlich über den aktuellen Planungsstand: Aus den zunächst zahllosen Möglichkeiten einer Streckenführung wurden zuletzt sieben Linienvarianten identifiziert, die in der Planung weiter verfolgt werden sollen.
Danach steht schon jetzt fest, dass es einen viergleisigen Ausbau der jetzigen Strecke Gelnhausen - Fulda nicht geben wird, und dass große Teile der Neubaustrecke in Tunnels von bis ca. 10 km Länge verlaufen werden. Weiterhin stellte er fest, dass die Neubaustrecke nicht nur tagsüber für den ICE-Verkehr genutzt werden soll, sondern auch nachts mit Güterzügen befahren werden soll. Da die Neubaustrecke erheblich höheren Lärmschutzauflagen unterliegen wird als die jetzige Bestandsstrecke, ist dies für die lärmgeplagten Bürger im Kinzigtal sicher eine gute Nachricht. Für den Wechsel der Güterzüge zwischen Bestands- und Neubaustrecke werden natürlich auch Übergangspunkte benötigt. Weiterhin darf die Maximalsteigung der Strecke für die Güterzüge nicht größer als 1,2 Prozent sein (was einen erhöhten Tunnelanteil zur Folge hat). Beides muss bei der Planung berücksichtigt werden und in die Bewertung der verbliebenen Streckenvarianten eingehen.
Wächtersbach wäre nur bei der Realisierung der Variante 1 nicht betroffen:
- Die Varianten 2 - 4 würden südwestlich von Wächtersbach das Kinzigtal kreuzen und südlich von Aufenau am Orber Berg kurz aus einem Tunnel auftauchen.
- Variante 5 würde hinter dem Brauereigelände kurz (zwischen zwei Tunneln) oberirdisch verlaufen und dann zwischen Hesseldorf und Neudorf das Brachttal überqueren, um dann ganz nahe am Kurgelände von Bad Soden oberirdisch Richtung Nordosten geführt zu werden.
- Varianten 6 und 7 würden ebenfalls hinter dem Brauereigelände geführt werden und dann zwischen Brachttal-Schlierbach und Weilers das Tal der Bracht auf einer großen Brücke überqueren.
Neudorf direkt wäre nur von Variante 5 betroffen, gegen die sich aber starker Widerstand regt: Ein Magistratsmitglied aus Bad Soden-Salmünster stellte in der Diskussion klar, dass diese Stadt gegen eine Entscheidung für diese Linienvariante alle rechtlichen Mittel ausschöpfen würde. Auch das Wächtersbacher Stadtparlament hat inzwischen einstimmig einem Antrag gegen die Variante 5 zugestimmt.
Nach dem offiziellen Teil der Veranstaltung konnten sich die Anwesenden noch an mehreren Info-Ständen über den Planungsstand informieren.
Mit der Veranstaltung und ihren Nachwirkungen beschäftigen sich mehrere Publikationen in der Presse und in diversen Medien, so die GNZ.
Alle Informationen zum Projekt und zum aktuellen Planungsstand finden sich auf der eigens eingerichteten Website der DB Netz AG Ausbau-/Neubaustrecke Hanau–Würzburg/Fulda.
Kommentar des Webmasters
Nach und nach konkretisieren sich die Pläne der DB Netz AG für die Neubaustrecke Gelnhausen - Fulda. Dass es in diesem Streckenabschnitt keinen viergleisigen Ausbau der bestehenden Strecke geben wird, ist sicher eine gute Nachricht für die Neudorfer Bürger.
Verfolgt man die Planungen -wie ich- schon seit einigen Jahren, so fallen Verschiebungen in den angestrebten Zielen ins Auge:
- Die als "Mottgersspange" bekannte Variante 3 durch den Spessart mit der Möglichkeit, auf ihr auch ICE-Züge von Frankfurt nach Würzburg und damit nach Süden zu leiten, scheint zunehmend an Bedeutung zu verlieren. Dazu beigetragen hat sicher die klare Stellungnahme zahlreicher bayerischer Politiker für den Erhalt des ICE-Standortes Aschaffenburg. Flankierend dazu wird derzeit die Strecke Aschaffenburg - Würzburg im Bereich Heigenbrücken mit mehreren neuen Tunneln ausgebaut, sodass die Mottgersspange an Attraktivität verliert.
- Auch die anderen beiden Spessartlinien haben spätestens mit dem Interesse der Bahn an einer nächtlichen Nutzung der Neubaustrecke an Attraktivität verloren, denn sie sind länger als die Kinzigtal-nahen Varianten und bieten kaum Übergabepunkte zwischen Bestands- und Neubaustrecke.
- Sicherlich interessant aus Sicht der Deutschen Bahn sind die Varianten 4 und 5. Durch die Nähe zum Kinzigtal und zur Bestandsstrecke kämen Vorteile wie gute Verkehrsanbindung (für Baustellenverkehr und Abtransport des Tunnelaushubs), viele Übergabepunkte zwischen Bestands- und Neubaustrecke und der relativ geringe Tunnelanteil ins Spiel.
Auf der anderen Seite wären diese Varianten für die Bürger im Kinzigtal der reine Horror. Zum ohnehin vorhandenen Lärmteppich von Bahnstrecke, Autobahn, stark befahrenen Straßen in Tallagen und zahllosen Fluzeugen im Landeanflug auf Frankfurt kämen noch jahrelanger Baustellenverkehrslärm und danach der Zugverkehr. Die Variante 5 würde überdies fast direkt durch den Kurpark von Bad Soden-Salmünster führen; für einen Hotelier oder Restaurantbesitzer aus Bad Soden Anlass für Existenzängste, denn die Aussicht hierauf dürfte zahlreiche potenzielle Gäste verschrecken. Sollte die Bahn letztlich diese Trasse favorisieren, dürfte mit massiven Bürgerprotesten und langjährigen Gerichtsverfahren zu rechnen sein.
Auch für Wächtersbach im allgemeinen und für Neudorf im Speziellen wäre die Variante 5 die schlechteste Lösung. - Blieben also die Varianten 6 und 7, die am westlichen/nördlichen Rand des Suchraums liegen und in den Überlegungen bis vor kurzer Zeit überhaupt noch nicht als Alternativen wahrgenommen wurden. Übergabepunkte zur Bestandsstrecke wären vorhanden, die Strecken sind relativ kurz und führen durch relativ schwach besiedeltes Gebiet. Andererseits wären viele und lange Tunnels erforderlich, während der Abtransport des Tunnelaushubs angesichts der kleinen Sträßchen in den engen Tälern des südlichen Vogelsbergs eine logistische Herkulesaufgabe sein dürfte.
Für Wächtersbach wären die Beeinträchtigungen durch diese beiden Streckenvarianten überschaubar.
Irgendwann in 2017 soll aus den Varianten eine als sogenannte Antragsvariante ausgewählt werden, mit der die Bahn in das Raumordnungs- und das Planfeststellungsverfahren gehen will. Bis dahin (und vor allem bis zu einem Baubeginn der Neubaustrecke irgendwann -viel- später) wird es sicher noch einige Wendungen geben, bei der manche scheinbar unumstößliche Wahrheit noch ins Wanken geraten könnte. Wir werden das Thema weiter begleiten!